Miou rauschte in den Aufzug und sah den Liftboy mit zusammen gekniffenen Augen an. Pierre hielt es für besser mit keiner Wimper zu zucken. Als Madame Miou das letzte Mal in dieser Stimmung war, hatte sie Pierre furchtbar angefahren. Dabei hatte er sie nur nach ihrem Befinden gefragt. So drückte er auf Knopf Nummer drei und versuchte möglichst unbeteiligt dreinzuschauen. Sofort setzte sich der Lift in Bewegung und schwebte in die dritte Etage. Mit einem leisen Zischen öffnete sich die Fahrstuhltür. Ohne ein „Au revoir“ stürmte Miou aus dem Lift und den langen mit dicken roten Samtteppichen ausgelegten Flur hinunter.
„Was für ein Hornochse, dieser Henri.“
Sie suchte nach ihrem Haustürschlüssel.
„Unverschämt, so hat noch nie ein Mann mit mir geredet.“
Miou krempelte ihre Handtasche von innen nach außen.
„Und das wird auch nie wieder ein Mann tun. Das wird er mir büßen.“
Endlich hatte sie den Schlüssel gefunden und steckte ihn mit zitternden Händen ins Schloss. In der Diele warf sie ihre Tasche auf die kleine Louis XV Kommode, streifte ihre hohen Lackpumps von den zierlichen Füßen und stieß die Tür zu ihrem Arbeitszimmer auf.
Jedem anderen Menschen wäre im chambre rouge schwindelig geworden, aber Miou war in ihrem Element. Das war ihr Zimmer. Ihre Wohnung. Hier hatte sie das Sagen und niemand würde sie so behandeln, wie dieser widerwärtige Prahler es gerade getan hatte. Kurz dachte Miou daran, dass sie nicht immer so mondän gewohnt hatte. Aber seit einer ihrer reichen Gönner während ihres Liebesrausches dahin geschieden war, war sie die unbestrittene Herrin dieser Wohnung. Miou ließ ihre Kleider auf den Boden gleiten und sank theatralisch auf die rote Chaiselounge, die von einem roten Paravent abgeschirmt wurde. Damit die neugierigen Gaffer aus den gegenüberliegenden Häusern nicht durch die roten Chiffonstores auf das göttliche Bild blicken konnten, das sich ihnen in roten Dessous bot. Miou warf sich in Pose und betrachtete wohlgefällig ihr Spiegelbild in dem rotgestrichenen Barockspiegel.
Sie streckte ihre kleinen Füße mit den rotlackierten Nägeln und den langen Beinen, die in einen wohlgerundeten Po übergingen und bewunderte ihren wogenden üppigen Busen. Der brachte bis jetzt jeden Mann um den Verstand und sein Börse. Aber eben nur bis heute. Miou strich durch ihre glänzenden roten Haare. Henri sagte ihr, dass sie ihm nicht jung und knackig genug war. Er wollte Frischfleisch. Eins von diesen jungen, auftakelten Dingern, denen man schon auf hundert Schritt ansah, womit sie ihre Brötchen verdienten.
Miou atmete heftig ein und aus. Damals, in ihrem ersten Jahr, war sie auch eine von ihnen gewesen. Heute, dank ihres Körpers und ihrer wahrlich meisterhaften Beherrschung des Selben, war Miou, die unbestrittene Grand Dame der Liebesdienste. Natürlich wusste sie, dass die Zeit nicht spurlos an ihr vorüber ging, immerhin hatte sie schon einige Jahre in diesem Geschäft gearbeitet und nirgendwo zählte Jugend und Schönheit soviel, wie im Handel mit der käuflichen Liebe. Aber noch bestimmte Miou wer von ihr schied und nicht umgekehrt. Kein Mann machte mit Miou ungestraft Schluss. Sie sagte, wann und wo. Nicht umsonst, war Miou eine der wohlhabensten Dirnen von Paris. Miou konnte es sich leisten Liebhaber zu versetzen oder zu verschmähen, was deren Leidenschaft nur noch mehr anfachte. Wenn sie Miou in ihrem chambre rouge zu Füßen lagen, fühlte sie sich wie eine Königin. Und dieses Gleichgewicht hatte Henri, die Ratte, empfindlich gestört.
„Dir werde ich es zeigen, du Mistkerl.“
Miou blickte ihr Spiegelbild an und lächelte hinterlistig. Sie setzte sich an ihr rotes Renaissancetischchen, auf den roten Plüschstuhl und schlug ihre langen Beine übereinander. Miou hatte einen Entschluss gefasst.
„Henri wird seine Frechheit bereuen!“
Sie griff mit spitzen Fingern nach einem roten chinesischen Schächtelchen.
„Wenn ich mit dir fertig bin, wirst du mich anbetteln, dich zurück zunehmen, aber dann wird es zu spät sein.“
Miou lachte leise und griff vorsichtig nach ein paar winzigen Fläschchen aus dem Chinakästchen. Dann wählte sie den eleganten Flakon, des von Henri bevorzugten Parfüms, aus einem ansehnlichen Sortiment von Flaschen. Sorgfältig, um nichts von den gefährlichen Flüssigkeiten zu verschütten, tropfte sie aus jeder der Phiolen einige Tropfen asiatischen Giftes in die wohlriechende Essenz von Henris Duftwasser. Gewissenhaft verschloss sie den Flakon, verpackte ihn in rotseidenes Geschenkpapier und legte eine kleine Karte mit einem zärtlichen Gruß bei. Dann warf Miou ihr rotes Negligé über, schritt graziös zum Lift und drückte das kleine Knöpfchen.
Als sich die Fahrstuhltür vor Pierre auftat, blieb ihm die Luft weg. Miou lehnte aufreizend öffentlich vor Pierre an der Tür.
„Pierre“, flötete Miou und ließ ihren prallen Busen auf und nieder wogen, „würdest du mir bitte einen Gefallen tun?“
„Natürlich“, Pierre stotterte und lief flammendrot an.
„Würdest du bitte dieses Präsent an die Adresse, die auf der Karte steht, ausliefern.“
„Ja, sie wissen doch, ich würde alles für sie tun“, Pierre hätte sich am liebsten vor ihre Füße geworfen.
„Ja, mein Kleiner“, Miou streichelte seine Wange mit einem Finger, „und wenn du deine Arbeit brav erledigt hast, dann komm zu mir und ich werde dich belohnen.“
Sie zwinkerte Pierre verheißungsvoll zu, der kurz vor einer Ohnmacht stand. Miou drehte sich lasziv um und mit ihrem unnachahmlichen Hüftschwung schaukelte sie zurück in ihre Wohnung. Ihre schlechte Laune war verflogen. Henri würde heute noch seine Strafe bekommen und Pierre, der kleine Grünschnabel, würde ihr zu Füßen liegen. Miou würde ihm offenbaren, was es bedeutete sie besitzen zu dürfen. Dann würde sie Pierre zeigen, welch ein Verlust es war dieser Freuden beraubt zu werden. Nie wieder würde ein Mann es wagen, sich gegen sie zu wenden! Miou lächelte zufrieden in sich hinein. Ihr chambre rouge würde, wie immer, seinen Zweck erfüllen und ihr große Befriedigung bereiten. Miou zündete die roten Kerzen an und wartete voller Begierde und Lust auf Pierres Erscheinen.
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