Das Schwert lag schwer in ihren Händen. Mariam sah auf den Mörder ihres Bruders herab. Er keuchte, die Hände auf die klaffende Bauchwunde gepresst, die Simon ihm beigebracht hatte, bevor sein Gegner ihm das Herz durchbohrte. Ihre Augen begegneten sich und noch im Angesicht des Todes lachte er.
„Ich bin nicht der einzige“, ein Röcheln unterbrach ihn, er schnappte nach Luft, dann fuhr er fort, „es werden andere kommen. Ihr habt keine Chance. Eure Familie wird ausgelöscht, für alle Zeit vom Erdboden vertilgt. Dann wird niemand mehr dasein, der uns aufhält.“
Mariam zitterte vor Wut.
„Aber noch ist es nicht soweit! So lange einer meiner Sippe die Kraft hat ein Schwert zu führen, werden wir euch bekämpfen. Ihr werdet für eure Bosheit bezahlen.“
Sie biss die Zähne zusammen und legte ihre ganze Kraft in den Hieb, der ihm den Kopf vom Rumpf trennte. Dunkles Blut spritzte aus seiner Halsschlagader. Es hatte einen eigentümlichen, Übelkeit erregenden Geruch nach fauligem Fleisch und dem aufdringlich, süßlich schweren Duft einer Blume.
Mariam glitt das Schwert aus den Händen. Sie presste sich ihr Halstuch vor Mund und Nase, um den penetranten Geruch fernzuhalten. Tränen rannen ihr über die Wangen. Sie kniete neben Simon nieder und streichelte sein blasses, kühles Gesicht. Sie spürte, dass ihn sein Geist schon längst verlassen hatte. Der Schmerz legte sich, wie ein zu fest gezogenes Korsett, um ihren schmalen Körper. Sie konnte kaum atmen.
„Ich habe dich gerächt, Bruder und Freund“, schluchzte sie, „wohin dein Geist gehen mag, wir werden beisammen sein, du und ich. Zwei von einem Blut. Gebunden im Leben, vereint im Tod. Ich schwöre, bei dir und unseren Ahnen, das zu tun, was uns bestimmt wurde. Bis wir uns auf der anderen Seite wiedersehen.“
Mariam schloss ihm sanft die Augen. Sie wusste, was zu tun war. Sie musste ihm die letzte Ehre erweisen, durfte nicht schwach sein, sich nicht von ihrem Schmerz hinreißen lassen.
Sie sammelte Brennholz und bahrte Simon auf. Dann schnitt sie dem Dämon die schwarzen Flügel von den kopflosen Schultern und bedeckte ihren Bruder mit der Trophäe. Er war ehrenvoll im Kampf gestorben. Mariam löste die Kette mit dem Zeichen der Adler von Simons Hals und legte sie sich um. Sie war die letzte Jägerin des Clans. Nun lag es an ihr, der Familie Ehre zu machen und das Werk weiterzuführen.
Mariam zog ein Fläschen aus ihrer Tasche, schüttete den Inhalt über den sterbliche Hülle ihres Bruders und zündete den Scheiterhaufen an. Sie murmelte ein paar Worte in einer unbekannten Sprache und sofort schossen imposante Flammen empor, die den Leichnam und das Holz in Brand setzten.
Mariam starrte auf das Feuer. Mit klagender Stimme sang sie die alten Lieder, die ihnen ihr Vater seit frühen Kindertagen, immer wieder vorgesungen hatte. Es weckte die Erinnerung an den Tag, an dem Simon und sie ihren Vater auf dieselbe Weise, auf die Reise ins Land der Ahnen geschickt hatten.
Erst als auch die letzten Flammen erloschen waren, rührte sich Mariam vom Fleck. Sie fror, fühlte sich steif, ihre Muskeln hatten sich verkrampft. Die Augen brannten von den Tränen und dem beißenden Rauch.
Mariam nahm das geweihte Schwert ihres Bruders an sich. Noch einmal sah sie sich zu dem Häufchen um, dass von dem Scheiterhaufen übrig geblieben war, dann wandte sie sich ab und ging zu ihrem Auto.
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